POST-POST-NACHTRAG

Als ich gestern auch Anna, einer guten und klugen Freundin, die den Kreissaal nicht miterlebte, den POST-POST schickte, antwortete sie mir - sehr offen und sehr kritisch - umgehend.

Das tat gut zu hören, denn sie konnte mir klar sagen was ihr, als Außenstehende, abgeht - eine Art Zusammenfassung, die sie erkennen ließe, worum es da eigentlich ging.

Ich antwortete ihr mit einer nächsten, langen Sprachnachricht, in der ich versuchte darzulegen, warum es ist, wie es ist, und weshalb ich denke, dass es zu jetzigem Zeitpunkt gar nicht anders sein kann.

Kurz darauf erhielt ich wieder eine Nachricht, mit der sie mir wärmstens empfahl, ich solle meine Worte noch einmal anhören und erwägen sie zu transkribieren, um damit einen Nachtrag zu erstellen, denn da sei alles drin, was sie meinte.

Das will ich jetzt - nachdem ich gut drüber schlief und es mich juckt - einfach mal versuchen. Wenn ich zwei Punkte setze.. dann ist das eine kleine Denkpause.
Ok, das sagte ich gestern zu Anna:

. . . aber weißt du, einen „durchgehenden Gedanken“, wie du ihn vermisst, gibt es als solchen nicht.. also keine quasi methodologische, pragmatische Entwicklung im Ganzen.. das war und ist eine künstlerische Versuchsanordnung, aber nichts desto trotz hat es im Sinn, dass es sehr wohl etwas gibt, und zwar etwas nachhaltiges gibt, weil genau das - auftauchen, Party machen, oder Schlaumeier raushängen lassen, und dann wieder abbauen und abhauen - genau das will es nicht sein.. aber das war eben zu komplex, einfach weil so viele Leute mit so vielen Geschichten, so vielen Leidenschaften und Zweifeln und Projekten zusammenkamen.. aber was viele, die dabei waren, sicher mitnahmen - was mir eine Freude war, ich nahm es selber wahrscheinlich am allermeisten mit - sind neue Freundschaften, Kontakte, Fäden, die da zu anderen und anderem gespannt wurden, und zu schwingen begannen.

Das finde ich eigentlich schon genug, oder anders gesagt, das finde ich viel, wenn so was Kunst leistet.. oft sind das ja nur Fäden zwischen der Kunst und dir, was ja auch toll ist, aber eben, das ist komplexer.
Aber das einzige, was sich wahrscheinlich durchzog, so als simple, präsente Frage durch alle diese Talks, auf die dann eben so völlig verschieden geantwortet und eingegangen wurde, war: was wollen wir eigentlich?

Was wollen wir, als Glückspilze in der dritt reichsten Region Europas, mit einer ansteigenden Armen-Kurve, bzw. einer sich immer weiter öffnenden Schere zwischen superreich und superarm - wie überall in diesem Scheisssystem - was wollen wir 2021 mit unserem Wir machen?

Interessiert uns das? Sind wir das? Sind wir Wir, oder sind wir nur versprengte Individuen, die da nur noch ihre Scherflein ins trockene retten wollen.

Ich finde die Zeit, in der wir leben extrem dramatisch.. aber ich sag das nicht als Pessimist, ich denke, dass ich Realist bin, ich bin auch Optimist, ich lebe ja nicht in Angst und Sorge, aber mit nur ein bisschen Abstand von deiner Blase, siehst du einfach, dass wir, als Menschheit als Ganze, in einem Moment leben, den es so noch nie gab, noch nie so Ganz und noch nie so entscheidend dramatisch, wirklich in einem Entweder-Oder-Moment. Das kannst du von verschiedenen Standpunkten betrachten - klimatisch, politisch - die Demokratie geht überall den Bach runter, wirtschaftlich - Herrje! ..aber für mich persönlich vor allem, hmmm, geistig, spirituell.. für mich ist das vor allem eine spirituelle Frage.

Um das ging es gar nicht, bzw. ging es um das nur, wenn halt die Sprache drauf kam, oder wenn jemand wissen wollte, was das mit Immun oder mit meinem Immunsystem zu tun haben soll, oder warum ich finde, dass es Kunst ist, wenn viele Leute im Kreis sitzen, und offener werden miteinander.. dann ist das im Grunde eine tiefe Sinnfrage für mich, weil wir alle mit Konzepten herum rennen, die miteinander konkurrenzieren, Konzepte vom Selbst und vom Leben - wir müssen andere ständig klein machen, dass wir uns groß fühlen können. Dieser Trennungsgedanke und die Art „Angriffskultur“ zieht sich durch ganz viele, ganz verschiedene Ansätze von Ideen, was das Leben sei.

Aber, und deshalb war der Kreissaal auch da, ist es wichtig, dass wir wissen, dass wir nichts wissen. Wir wissen nichts.. vor allem wissen wir nichts. Wir wissen schon viel mehr, als gar nichts, aber vor allem wissen wir noch fast gar nichts. Wir wissen nicht wer Wir sind, wir wissen nicht was das Leben eigentlich ist, und wir wissen nicht was wir wollen.

Und darum ist es, wie es ist, und braucht es seine Zeit. Gibt es Zeit überhaupt, oder ist das auch nur ein Verstandeskonstrukt? Wir wissen es nicht.

Ich hätte mich schon ein bisschen abquälen und zwingen können, klüger zu sein, als ich bin, oder talentierter zu sein als ich bin - im Sinn machen - und zusammenfassen und pragmatisch auffädeln, analysieren und einen tollen Text hinlegen.. aber der wäre ja nur toll, oder mit den Augen des Projektes wäre das ja nur toll, gäbe es eine Antwort, also einen Folgeschritt des Projektes, und diesen Schritt kann ich und will ich selbstredend nicht allein machen, es geht ja nicht um mich. Mir gefällt an diesem Projekt, dass ich nur der Fadenzünsler bin bei all diesen spinnerten Fäden und Menschen, die da dranhängen.. also braucht das jetzt halt noch seine Zeit.

Und ich dachte es wäre eine schöne Idee - und ich war dankbar, dass das eher der Schlaf flüsterte, als der Verstand konstruierte -, dass ich einsah, dass es wichtig ist, zuerst mein Buch zu schreiben. Das muss ich jetzt raus kriegen, herstellen als Gedankenfluss, Wortfluss.. und ich habe ganz stark das Gefühl, dass über der Befreiung das zu tun, genau der Freiraum entsteht, dass das andere klar werden kann - zumindest war das beim Aufwachen so logisch - so psycho-logisch.

Langsam ist schön. Lento è bello!